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Wenn aus Streamen Rundfunk wird

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Mit Meerkat und Periscope kann jeder livestreamen, doch ein deutscher Medienwächter warnt: Wenn die Politik nicht reagiert, bräuchten manche Nutzer eine TV-Lizenz

für taz

Eine Uhr, die Katzenvideos abspielen kann? Wahnsinn! Als Apple am Freitag seine Apple Watch in die Läden brachte, konnte jeder live mit dabei sein: Viele Apple-Fans haben ihren Besuch in den Verkaufstempeln des Konzerns ins Netz übertragen – mit Apps wie Meerkat und Periscope, die Livestreaming per Smartphone massentauglich machen. In Berlin übertrug so mindestens ein Nutzer auch die halbe Stunde, die Journalisten vor der eigentlichen Öffnung des Geschäfts hatten, um die neuen Geräte rasch zu betatschen.

Noch viel direkter als YouTube und andere Videoplattformen im Internet bringen die neuen Livestreaming-Apps die ganze Welt zum Publikum. Früher war das noch klar die Domäne des Fernsehens. “Wir stecken jetzt in einem Dilemma”, sagt Jürgen Brautmeier, der Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), die private TV- und Radioaktivitäten in Deutschland kontrolliert. “Wenn wir unser gültiges Recht ernst nehmen würden, dann hätten wir in der Tat keine andere Wahl als zu sagen: Streams über diese Apps könnten Rundfunk werden.”

Völlig neu ist dieser Gedanke nicht. Schon als Google seine Videokonferenz-Technik “Hangout” auf den Markt brachte, die Livestreams etwa auf YouTube ermöglichten, mussten IT-Profis feststellen, wie rückständig das deutsche Medienrecht ist. Damals machte schnell die Zahl 500 die Runde, nach dem Motto: Schauen zeitgleich mehr als fünfhundert Zuschauer zu, dann muss der Veranstalter eine Rundfunklizenz beantragen, aus Internet wird Fernsehen.

DLM-Chef Brautmeier sagt heute, diese Zahl sei für die damals laufende Diskussion “mal eben gegriffen” worden, sie könne auch höher liegen. Entscheidend sei zudem nicht allein, wie viele Zuschauer einen Stream aus Deutschland habe, sondern nicht zuletzt auch, ob das Angebot linear oder zumindest wiederkehrend sei. Übersetzt heißt das so viel wie: Wer nur ad hoc, mal hier, mal dort, über Meerkat und Co auf Sendung geht und das nicht im großen Stil ankündigt, muss in aller Regel nichts befürchten.

Die Apps sind ohnehin noch so frisch auf dem Markt, dass augenblicklich erst mal alle noch damit experimentieren. Manches aber lässt erahnen, wohin die Reise mit Blick auf eine Linearität gehen könnte. Der Fußball-Bundesligist FC Schalke 04 hat jüngst etwa auf dem Twitter-Ableger Periscope eine Pressekonferenz übertragen – mit Ansage. Auch Radiosender spielen damit, aus ihren Studios per Livestreaming-App Bilder zu senden.

Medienwächter Brautmeier lässt durchblicken, dass er persönlich gegen aufwändige Lizenzpflichten für Livestreaming-Apps ist. Die Länder müssten sich “endlich zusammenreißen” und ein neues Medienrecht auf den Weg bringen, das die digitalen Möglichkeiten praktikabel berücksichtige. Er hoffe, dass das bis spätestens Mitte 2017 klappe, also dem Ende der laufenden Legislaturperiode im Bundestag.

Im Idealfall würde es für die besagten Angebote dann nur noch eine “nachgelagerte Missbrauchsaufsicht” geben, etwa zu Persönlichkeitsrechten und Jugendschutz.

Der DLM-Vorsitzende mahnt allerdings: “Wenn die Reform zu lange dauert, dann könnte es passieren, dass aus Experimenten regelmäßige Angebote werden, die gut angenommen werden – und eben auch, dass dann jemand auf den aktuellen Staatsvertrag pocht.” Dann, sagt Brautmeier, wäre er da: der Ernstfall, bei dem die Medienwächter prüfen müssten, ob aus Livestreams per Smartphone zumindest im juristischen Sinne ein TV-ähnliches Angebot erwachsen ist.

Drüben im Silicon Valley würden sie sich dann gewiss schlapplachen über diese verrückten Deutschen und ihren irren Regulierungswahn.

>> zur Originalveröffentlichung auf taz.de


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